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Der Nachtzug

Es regnete, als ich spätabends zum Bahnhof mußte; dorthin fuhr ich per Autohalt. Für den Fall der Fälle, stand ich neben der Bushaltestelle. Nach einiger Zeit stoppte ein Wagen, und ich fragte den jungen Fahrer, ob er mich zum Bahnhof mitnehmen könne. Er verstand mich nicht, und es blieb mir nichts anderes übrig als "Tchu, tchu, tchu, tchu, Katowice" zu sagen. Mit Erfolg. Ich stieg ein als Ray Charles am Radio "Hit the Road Jack" zu singen begann. "And don't you come back no more".

Der Bahnhof war nur ein paar Minuten entfernt, doch bin ich ein ziemlich nervöser Weltbummler, der immer wieder nach seinem Pass sehen muß. Ich habe auch ständig Angst, daß ich meinen Zug oder Flugzeug verpassen werde. Ich hätte mich weniger aufregen sollen; ich hatte noch 25 Minuten Zeit. Am Fahrkartenschalter ließ ich mich um 2 Zloty beschwindeln. Die Frau hinter dem Schalter schaute mir direkt in die Augen als sie das Kleingeld durch das Fenster reichte. Ein Streit war der Mühe und Unannehmlichkeit nicht wert.

Ich kannte den Schaffner im Zug schon; als ich in Oswiecim ankam, hatte er mir Auskunft gegeben. Er setzte sich zu mir und fing an zu reden. Er wollte mir über sein Leben erzählen und wie schwer es in Polen sei. Sein Englisch war ziemlich gut. Die Lohne, so meinte er, wären ein Witz, weil die Inflationsrate so hoch war. Mit dem was er als Schaffner verdiente, käme er nicht aus. Seine Zähne waren zerbrochen und taten wahrscheinlich auch weh. Wir redeten bis zur nächsten Station; da entschuldigte er sich, um nach den neuen Passagieren zu sehen.

In Katowice stieg ich in den Nachtzug ein, der die Strecke Krakow - Berlin fährt, ein. Das Schlafabteil teilte ich mit einem polnischen Bauunternehmer, der bis zur Invasion in Kuwait gearbeitet hatte. Jetzt hatte er in Berlin Geschäfte. Wir waren beide müde und legten uns zu Ruhe. Doch wie es oft der Fall ist, wenn man zu viel in zu kurzer Zeit erlebt hat, konnte ich nicht einschlafen. Ich hörte auf das vertraute k-k k-k--k-k k-k der Schienen; es half nicht. Im Halbschlaf habe ich mir vorgestellt, wie der Zusammenbruch des Reiches wohl aussah. Ich sah tausenden von deutschen Soldaten und einfachen Zivilisten in Karren und zu Fuß auf der Flucht vor der roten Armee. Das waren keine Übermenschen mehr, die ich sah. Die Arroganz war geflohen; es blieben nur Dreck, Hunger, Verzweiflung, und Angst. Diese Szene breitete sich vor mir aus bis zum Horizont. Und ich? Ich sah all dies von einer parallelen Schiene, von der Sicherheit des Zuges und der unendlichen Ferne einer gegenwärtigen Zukunft.

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